Pflegearbeit

 

Die Eingewöhnungsphase

Die vor Ort gehaltenen Tiere stammen allesamt aus ehemaligen Privathaltungen und haben durchwegs tragische Vorgeschichten.

Im Zentrum angekommen, werden sie erstmals einem medizinischen Grundcheck (von einem auf Papageien spezialisierten und erfahrenen Tierarzt durchgeführt,  bei uns  Dr. Jean Meyer aus Villach) und den daraus resultierenden notwendigen Behandlungen unterzogen, um später in eine kompatible Gruppe eingegliedert werden zu können. Da virale und bakterielle Erkrankungen die Gesundheit der bereits vorhandenen Pfleglinge gefährden würden, ist hier ein äußerst verantwortungsvolles Vorgehen wichtig. Quarantänezeiten sind notwendig, bevor schrittweise mit den Resozialisationsversuchen begonnen werden kann, welche von ganz unterschiedlicher Zeitdauer sein können.

Die Resozialisation der zuvor meist in Einzelhaltung untergebrachten Tiere erfordert ein gutes Beobachtungsvermögen, viel Geduld und einschlägige Erfahrung. Je mehr Informationen zu den früheren Lebensumständen der abgegebenen Papageien vorhanden sind, desto verständlicher und nachvollziehbarer sind oft die individuellen Reaktionen der Vögel auf die neuen Umgebungsverhältnisse. Die Eingewöhnungsphase dauert dementsprechend auch unterschiedlich lang und stellt für Tiere und Pfleger trotz einer meist eindeutigen Verbesserung (Partnertier, Freiflug, Gruppe) ihrer bisherigen Lebensumstände eine Aufregung und Belastung dar.
Erst wenn sich ein Vogel sicher in einer Papageiengemeinschaft bewegt, und über einen längeren Beobachtungszeitraum keine  eindeutigen Stressfaktoren (in den Fütterungs-, Aktions- und Ruhephasen) erkennbar sind, kann eine Eingliederung als erfolgreich angesehen werden. Durchgängige Beobachtung bleibt aber oberstes Gebot, da sich jederzeit Änderungen in der Gruppendynamik ergeben können und somit schwache Tiere im sozialen Gefüge an den Rand gedrängt werden und dadurch plötzlich gesundheitsgefährdenden Stressfaktoren ausgesetzt sind.

 

Die Haltungsbedingungen

Die aufgenommenen Vögel werden nach den Grundsätzen der Tiergartenbiologie (aber ohne Reproduktion) gehalten und nach dem Konzept des „behavioural and environmental enrichment“ gepflegt, wie man es z.B. aus einigermassen vertretbaren Haltungen von Schimpansen oder Orang Utans länger schon kennt.
Der den in Gefangenschaft lebenden Papageien gebotene Lebensraum ist zwar zigtausendmal kleiner als in freier Natur, muß aber in räumlicher sowie sozialer Hinsicht alle wesentlichen Bestandteile ihres natürlichen Territoriums aufweisen. (Hediger 1974, S.595) Von vertretbarer Haltung kann demnach höchstens bei einer Schwarmhaltung in einem räumlich gut strukturierten und ausreichend dimensionierten Großgehege die Rede sein.

Da Papageien erwiesenermaßen äusserst intelligente Tiere sind, gestaltet sich ihre Pflege was die erforderliche Unterhaltung und Abwechslung anbelangt durchwegs aufwändig und anspruchsvoll. Eintönige Tagesabläufe treiben Papageien häufig in Verhaltensstörungen und immer wieder sogar in die Angewohnheit der Selbstverstümmelung.

Die Fütterungsphase im Artenschutzzentrum nimmt konsequenterweise mindestens 5,5 Stunden pro Tag in Anspruch, währenddessen die einzelnen Tiere intensiv beobachtet werden und sichergestellt wird, dass jedes Individuum Zugang zu allen gebotenen Futtermitteln hat.


Die Umgebungsverhältnisse werden regelmässig variiert, die Futterpalette im Winter erweitert durch das Trocknen oder Frosten von Wildbeeren und Wiesenkräutern, sodass das ganze Jahr über auf ein möglichst abwechsungsreiches Nahrungsangebot zurückgegriffen werden kann. Die Fütterungsmodalitäten bieten weitere Möglichkeiten, um der fortschreitenden Reizverarmung der Tiere entgegenzuwirken, zusätzlich ist für angemessene Ersatzbeschäftigungen  nach der Nahrungsaufnahme gesorgt.

Die Beobachtung des Menschen und eine mögliche Interaktion mit ihm ist in unserer Anlage auch als Bereicherung des Papageienalltags erlebbar, wobei die Tiere den Rückzug in ungestörte privacy jederzeit antreten können.

Trotz des unermüdlichen Bemühens den Papageien die abwechslungsreichsten Pflegemaßnahmen zu bieten stellen wir jedoch fest, dass diese Tiere in Gefangenschaftshaltung nur einen unbefriedigend geringen Teil ihrer Ursprungsbiologie leben können.
Allein schon diesen Beobachtungen zufolge ist – sogar bei einer zunächst bewußten Ignorierung aller tierethischen Fragen -  eine Ablehnung der Zucht dieser Vögel zu kommerziellen Zwecken zwingend notwendig.
Nach heutigem Kenntnisstand der Gesamtproblematik jedoch, welche auch die Aspekte des Tierschutzes miteinzubeziehen hat, ist jede kommerzielle Zucht und jeder Handel mit Papageien klar abzulehnen.

Der Tagesablauf

Sofern wir uns nicht gerade in einer außergewöhnliche Situationen befinden (Neuzugänge, beobachtete Veränderungen in einer Sozietät oder Ähnliches), beginnt der Alltag im Zentrum mit einem Kontrollgang um 7.00 Uhr morgens, währenddessen jeder Vogel auf seinen Gesundheitszustand und sein Verhalten überprüft wird. Die Vögel reagieren ganz individuell auf die Begrüßung, jeder unverkennbar in seiner Eigenheit, meist mit auf Interaktion abzielenden individuellen Lautäußerungen oder Pfiffen. Dies ist übrigens auch während nächtlicher Kontrollgänge mit Batterielicht typisch für das Verhalten der im Zentrum gehaltenen Tiere, egal wie oft kontrolliert wird.

Die Atmosphäre in den Tiergruppen läßt sich am besten mit freudiger Erwartung,  ausgeprägter Neugierde, akkurater Beobachtung des Obstwagens, starken Lautäußerungen und riskanten Flugmanövern beschreiben, durch welche der eine oder andere mutige Charakter schon mal versucht vom diensthabenden Pfleger unbemerkt in die Futterküche zu gelangen und sich dort vornab schnell zu bedienen.
Gefüttert wird sofort nach dem Kontrollgang in einer gewissen Reihenfolge, wobei die Vögel die Marotten und Gewohnheiten der einzelnen Pfleger genau kennen und diese mit klaren Protestkundgebungen kommentieren.

Keiner darf zu kurz kommen, dafür ist durch die Unmenge an bestückten Stahlschüsseln gesorgt, welche in der gesamten Anlage in unterschiedlichen Höhen verteilt befestigt sind. Das heißt zur Zeit 3 Stahlschüsseln pro Vogel oder Vogelpaar in der Gruppe, Wasser und Futterzusätze nicht miteingerechnet. Ebenfalls gesondert werden täglich Obstspieße mit großen oder ganzen Fruchtstücken, etwa einem Brokkolikopf oder einer halben Melone geboten, an denen sich meist mehrere Vögel zugleich bedienen. Bei besonders begehrten Obstsorten ist das timing des Anbietens auschlaggebend, d. h. die Spieße müssen gleichzeitig aufgesteckt werden, damit sich nicht die stärksten Vögel nacheinander das Beste holen können.

Bei etlichen Obstsorten, wie zum Beispiel Litchies oder Passionsfrüchten, muß grundsätzlich individuell gefüttert werden, damit  sich Streitereien oder Verfolgungsjagden durch die Volieren in Grenzen halten. Ein verantwortungsvolles Füttern bei Gruppenhaltung bedeutet am Ende der Fütterungsphase genau zu wissen, was die einzelnen Vögel gefressen haben und wie sich das Dominanzverhalten der Tiere untereinander auf ihre Nahrungsaufnahme auswirkt.
Täglich werden mindestens 8 verschiedene Obst und Gemüsesorten gefüttert und eine Körnermischung mit 15 bis 2o verschiedenen Saaten.
In regelmäßiger Abfolge gibt es zusätzlich Koch- und Keimfutter, Palmnüsse, Babynahrung, Aufzuchtfutter,    Kräuter und verschiedene Nüsse. Hirserispen werden ebenfalls täglich als Betthupferl von Hand gereicht, und werden mit großer Andacht verspeist.
Die Atmosphäre in den Volieren ist besonders friedvoll und ruhig, wenn alle Vögel mit dem Hirseschälen beschäftigt sind, dies ist ohne Zweifel einer der dankbarsten Augenblicke des Tages für den beherzten Pfleger.

Es ist selbstverständlich, dass alle Behältnisse in denen die Vögel ihr Menü gerreicht bekommen akkurat gereinigt werden. Die Schüsseln werden dazu aus ihren Verankerungen genommen, in die Futterküche gebracht und dort mit sauberem Wasser gespült und gut ausgetrocknet. Auch die Wasserschüsseln müssen sauber ausgetrocknet werden, da sich sonst recht schnell an Rändern und Boden ein schlüpfriger Belag bildet, wo sich unerwünschte Bakterien ansiedeln können. Diese Prozedur erfolgt 2 mal täglich, auch die Einhängevorrichtungen und Sitzstangen werden bei jeder Neubestückung mit einem feuchten Tuch von Obstresten und Verkotungen gereinigt.

Für die Beschäftigung der Vögel zwischen den 2 Futtergängen wird in erster Linie Benagungsmaterial bereitgestellt. Frische ungespritzte Äste, zum Beispiel von belaubten heimischen Obstbäumen gerne auch mit dem Obst (Kirschen, Äpfel, Haselnüsse…) oder riesige Fichtenzweige mit den ganzen Zapfen sind immer ein Hit. Vor allem wenn Haselnussruten mit halbreifen Nüssen in die Volieren gebracht werden, sitzen die vorwitzigen Vögel schon in den Ästen ehe wir es geschafft haben, die Stauden gut zu fixieren. Wenn diese mit dem Fuß in einem Wasserkübel  aufgestellt werden, halten sie sich – je nach Jahreszeit – oft mehrere Tage mit dem frischen Laub ohne zu welken.

Weidenäste werden von einzelnen Vögeln besonders intensiv benagt, mit dem Vorteil, dass die Rinde nachweislich entzündungshemmende Substanzen enthält. Wenn die Blätter der Äste nass sind (oder mit dem Schlauch nassgespritzt werden), kann man die  Papageien  genüßlich beim Taubaden beobachten, wobei sie auch gerne Wassertropfen von den Blättern aufnehmen. Anschließen setzten sie sich meist an sonnenexponierten Stellen in die höchsten Äste und betreiben Gefiederpflege während des Abtrocknens. Dies als Beispiel zur Förderung natürlicher und sinnvoller Beschäftigung im Alltag dieser Tiere.

Die Preparierung von Futterkarussells ist aufwändig, verfolgt aber den Zweck, dass die Vögel sich ihre Nahrung (Leckerbissen) erarbeiten können und somit beschäftigt sind. In den Gruppen ist stets das Dominanz- und Agressionsverhalten bei der Bereitstellung dieser Fütterungsmöglichkeiten ausschlaggebend, da Verletzungen unter allen Umständen vermieden werden müssen.
Die Fütterungszeiten verschieben sich entsprechend den Jahreszeiten und der Tageslänge. Wir versuchen, einen annähernd tropenähnlichen Hell- Dunkel-Rhythmus in den Wintermonaten einzuhalten, in den Sommermonaten sind die Tage in unseren Breiten allerdings deutlich länger.

Um Papageien in Gefangenschaft in räumlich begrenzten Territorien psychisch gesund zu halten, ist die Aktivitätsanregung der Tiere oberstes Gebot. Eine fortschreitende Reizverarmung der Vögel ist in einem begrenzten Gehege durch die Gewöhnung der Tiere an typische Abläufe jedoch kaum zu verhindern.